Una vera politica internazionale + art. Internationale Politik

Germania, rapporti di potenza, Onu
Gfp     101013
Una vera politica internazionale

●    La Germania ha ottenuto un seggio nel C.d.S. ONU, dopo soli 6 anni di assenza, sconfiggendo la candidatura di Canada e Portogallo, anch’essi paesi Nato.

●    I media tedeschi parlano del ruolo di Berlino come nuova “potenza mondiale”, in grado ora di condurre una “vera politica internazionale; il seggio ONU fornirebbe la possibilità di “autorizzare guerre” o “infliggere sanzioni”.

o   Parte della classe dominante tedesca (cfr. sotto in lingua: Gunther Hellmann sulla rivista di DGAP, Società Tedesca per la Politica Estera, “Internationale Politik”, 01.10.2010, I nuovi ruoli della Germania nel mondo e come organizzarli”) mette in guardia il governo: non mostrare troppo apertamente le ambizioni di potere, questo potrebbe scatenare o aggravare conflitti strutturali dannosi per la Germania e finirebbe con il sottrarre potere ai paesi UE più piccoli.

o   L’autore parla di “orgoglio/consapevolezza di potenza” che ad inizio anni 1990 apparteneva solo a gruppi ristretti di intellettuali di destra, mentre a fine decennio questo orgoglio avrebbe contrassegnato la politica estera tedesca del governo rosso-verde, (il Cancelliere SPD Schröder parlò di “consapevolezza di una nazione diventata adulta”).

– Oggi tale consapevolezza si manifesta – oltre che nella pressione di recente esercitata dalla Germania per il seggio ONU – nella pressione sulla Grecia per le riforme;  

– nel fatto che importanti questioni di politica di sicurezza della UE vengono discusse in un direttorio UE informale costituito da Germania, Francia e GB, senza consultare altri membri.

– All’interno, coinvolgimento ideologico di massa: vengono presentate pubblicamente come “questioni di potere” anche iniziative come la rivendicazione del seggio ONU.

o   È stata così modificata la percezione dei tedeschi sulla Germania nel mondo: il 56% pensa che i tedeschi sono amati nel mondo (erano solo il 39% nel 1991); nel ’93 il 54% dei tedeschi considerava importante “l’orgoglio nazionale”, contro il 73% nel 2006, e l’86% dei 14-18enni nel 2008;

o   si incoraggia sistematicamente l’orgoglio nazionale, in particolare lo si è visto per la coppa del mondo di calcio.

– Concretamente la consapevolezza di potenza si manifesta ad es. con il lasciar perdere le soluzioni sovrannazionali in precedenza promosse, e si appoggiano regolamenti che aumentano l’influenza dei paesi maggiori (nel Trattato di Lisbona, il maggior peso alla componente demografica per il numero dei voti; nel Consiglio aumento delle decisioni a maggioranza; preferenza a soluzioni intergovernative e a direttivi informali.

– Rispetto a Washington e Mosca à aumento delle relazioni bilaterali, minore considerazione degli altri alleati europei.

– Dal tempo del governo rosso-verde, anche la politica militare non è più principalmente finalizzata alla difesa, ma alla capacità di manovra di Berlino nella politica estera.

– La candidatura tedesca aveva già di per sé creato tensioni diplomatiche; i paesi di America Latina, Africa, e Asia si erano accordati su un candidato per ogni area, Berlino avrebbe invece impedito un accordo tra i paesi occidentali; Portogallo e Canada erano tra i paesi che avevano comunicato già nel 2000 e 2001 di volersi candidare; la Germania lo ha comunicato nel 2006 per il 2011/12, anche se aveva già occupato il seggio a rotazione nel 2003/04, secondo il principio “Chi paga deve anche potere discutere e decidere” (ex ministro Esteri tedesco Klaus Kinkel), dato che la Germania è il 3° maggior contribuente ONU.

– Il seggio non permanente per la Germania è solo una posizione di passaggio verso il seggio permanente che rivendica da inizio anni 1990, per avere la parità formale con GB e Francia nell’ONU.

– Dato che né GB né Francia sono disposte a sottomettersi all’egemonia tedesca, si può escludere venga assegnato alla UE un seggio permanente, ancora ufficialmente rivendicato dalla Germania

per essa utile a far valere la propria preminenza nella UE, e ad conquistare la posizione di grande potenza nell’Onu.

Gfp      101013
Echte Weltpolitik
13.10.2010
NEW YORK/BERLIN
(Eigener Bericht) –

–   Deutschland erhält 2011 für zwei Jahre einen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Dies hat die UN-Vollversammlung am gestrigen Dienstag beschlossen. In einer außergewöhnlichen Kampfabstimmung gegen zwei NATO-Verbündete gelang es Berlin, nach nur sechs Jahren Abwesenheit erneut in das höchste Gremium der Vereinten Nationen einzuziehen. In deutschen Medien heißt es über die Chancen der Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat, man könne dort insbesondere "Kriege autorisieren" oder "Sanktionen verhängen".

–   Von einer Rolle Berlins als neue "Weltmacht" ist die Rede. Mittlerweile warnen selbst Teile der deutschen Eliten vor einem allzu offenen Machtstreben der Bundesregierung. Dieses könne für Deutschland unvorteilhafte "Konflikte heraufbeschwören", heißt es in einem Beitrag für die Fachzeitschrift "Internationale Politik". Der Autor konstatiert ein neues "Machtbewusstsein", das bereits seit den Tagen der rot-grünen Bundesregierung die deutsche Außenpolitik präge und nicht zuletzt zu einer zunehmenden Entmachtung kleinerer EU-Mitgliedstaaten führe. Die Berliner Machtpolitik werde im Innern von einem wachsenden "Nationalstolz" flankiert, der neue Rekordwerte erreiche – insbesondere in der jüngeren Generation.

Sieger

–   Die New Yorker Entscheidung vom gestrigen Dienstag ist weltweit mit einiger Aufmerksamkeit registriert worden. Bereits die deutsche Kandidatur hatte zu diplomatischen Spannungen geführt.

–   Während die Staaten Lateinamerikas, Afrikas und Asiens sich vorab jeweils auf einen Kandidaten geeinigt hatten, hatte Berlin eine einvernehmliche Lösung unter den westlichen Staaten verhindert. Wären nach üblichem Brauch Portugal und Kanada an der Reihe gewesen, die schon in den Jahren 2000 und 2001 angekündigt hatten, sich zur Wahl stellen zu wollen,

–   meldete die Bundesrepublik 2006 ebenfalls ihren Anspruch auf einen nichtständigen Sitz für die Periode 2011/2012 an, obwohl sie dort erst in den Jahren 2003 und 2004 vertreten war – also später als ihre beiden NATO-Partner. In Berlin hieß es zu der Kampfkandidatur, reichere Staaten müssten stärkeren Einfluss bekommen. "Auch in den UN muss gelten: Wer zahlt, muss auch mitreden und mitentscheiden können", sagte der ehemalige deutsche Außenminister Klaus Kinkel unter Verweis darauf, dass Deutschland der drittgrößte Beitragszahler der Vereinten Nationen sei.[1] In dem mit harten Bandagen geführten diplomatischen Ringen um Unterstützung setzte sich die Bundesrepublik jetzt durch; Kanada hingegen hatte das Nachsehen.

Kriege autorisieren

–   Dabei gilt der nichtständige Sitz im UN-Sicherheitsrat der Berliner Außenpolitik nach wie vor nur als Zwischenstufe auf dem Weg zu dem seit Beginn der 1990er Jahre angestrebten ständigen Sitz, um den die Bundesregierung auch als nichtständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats kämpfen will.

–   Offiziell bemüht sich die Bundesregierung nach wie vor um einen ständigen Sitz für die EU, der für Deutschland sehr günstig wäre – die europäische Hegemonialmacht könnte ihre Vormacht innerhalb der EU dann auch in der UNO voll zur Geltung bringen.

–   Weil weder London noch Paris bereit sind, sich der deutschen Hegemonie endgültig unterzuordnen, gilt ein europäischer Sitz jedoch nach wie vor als ausgeschlossen. Berlin kämpft daher weiterhin für einen eigenen ständigen Sitz, um in New York die formelle Parität gegenüber Großbritannien und Frankreich zu erhalten.

–   Im Inland wird das deutsche Bemühen um Einfluss mit der Verheißung neuer globaler Macht beworben. Die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats könnten "Kriege autorisieren", "Sanktionen verhängen", "Friedensmissionen entsenden", heißt es in den Medien.[2] Die Boulevardpresse fragte gestern unmittelbar vor der New Yorker Entscheidung: "Werden wir heute Weltmacht?"[3]

"Verantwortung" heißt: Macht

–   Das ungebremste Machtstreben Berlins ruft mittlerweile selbst in Teilen der deutschen Eliten ein gewisses Unwohlsein hervor. Als Beispiel dafür kann eine Analyse gelten, die das außenpolitische Fachblatt "Internationale Politik" unlängst publiziert hat.[4] Hintergrund ist die Befürchtung, die aggressive Außenpolitik der Bundesregierung könne für Berlin nachteilige "strukturelle Konflikte heraufbeschwören oder verschärfen". "Berlin sagt ‘Verantwortung übernehmen’, meint aber ‘Macht ausüben’", urteilt Autor Gunther Hellmann, ein Professor für Politikwissenschaft an der Universität Frankfurt am Main, der Veränderungen in der äußeren Einflusspolitik der Bundesregierung ebenso wie ihre innenpolitische Unterfütterung untersucht.

Die selbstbewusste Nation

–   Wie der Autor urteilt, markiert vor allem der Bezug auf ein "nationales Selbstbewusstsein" "ein grundlegend gewandeltes Verständnis von Deutschlands Rolle in Europa und der Welt".[5] Noch Anfang der 1990er Jahre habe nur eine "Gruppe verstreuter Rechtsintellektueller" ein "gebrochenes Nationalbewusstsein" der Deutschen beklagt und eine "selbstbewusste Nation" gefordert.

–   Ende der 1990er Jahre sei der Begriff erstmals "im Zentrum des politischen Diskurses" aufgetaucht – damals habe Bundeskanzler Schröder (SPD) in seiner ersten Regierungserklärung vom "Selbstbewusstsein einer erwachsenen Nation" gesprochen. Heute werde ein stärkeres "nationales Selbstbewusstsein" für die deutsche Außenpolitik weithin in Anspruch genommen; dabei sei es nur "Synonym für ein gewachsenes Machtbewusstsein".

–   Dieses Machtbewusstsein zeigt sich dem Autor zufolge nicht nur in der jüngsten Kampfkandidatur um einen Sitz im UN-Sicherheitsrat, sondern auch in dem starken deutschen Anpassungsdruck gegenüber dem verschuldeten Griechenland oder darin, dass in einem informellen EU-Direktorium aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien ohne Hinzuziehung anderer Mitglieder "wichtige sicherheitspolitische Fragen der EU vordiskutiert werden". Zumindest "auf bestimmten Feldern und durch einige Partner" werde die neue deutsche Macht heute anerkannt – auch wenn man das Wort "Macht" in Berlin aus historischen Gründen nach wie vor meide.

Nationalstolz

–   Wie es in dem Beitrag weiter heißt, werden Maßnahmen wie etwa das Streben nach einem Sitz im UN-Sicherheitsrat heute "auch in einer breiten deutschen Öffentlichkeit als Machtfragen begriffen".[6] Dies spiegele sich mittlerweile in veränderten Haltungen innerhalb der deutschen Bevölkerung.

–   So verbänden inzwischen rund die Hälfte aller Deutschen mit dem "Selbstbewusstsein der Berliner Republik" Eigenschaften wie "Macht", "Größe" und "Ansehen". Mehr als die Hälfte der Deutschen (56 Prozent) glaubten heute – im Jahr 1991 waren es nur 39 Prozent -, dass sie "in der Welt beliebt" seien. Hielten 1993 noch 54 Prozent der bundesrepublikanischen Bevölkerung "Nationalstolz" für wichtig, seien es im Jahr 2006 schon 73 Prozent gewesen.

–   Unter Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren belaufe sich dieser Wert sogar auf 86 Prozent (Messzeitpunkt: 2008). "Nationalstolz" wird weiterhin systematisch gefördert, zuletzt anlässlich der Fußball-WM (german-foreign-policy.com berichtete [7]).

Am Tisch der Mächtigen

–   Das gestiegene Machtbewusstsein der Bundesrepublik äußert sich dem Autor zufolge in konkreten Schritten der Berliner Politik. So seien von Deutschland innerhalb der EU "frühere Präferenzen für supranationale Lösungen (…) fallen gelassen" worden – zugunsten von Regeln, "die den Einfluss der großen Staaten vergrößern".

–   Dies reiche "von einer stärkeren Berücksichtigung der demografischen Komponente bei Mehrheitsabstimmungen im Lissabonner Vertrag über die Ausdehnung von Mehrheitsentscheidungen im Rat bis hin zu einer deutlichen Präferenz für intergouvernementale Lösungen und informelle Führungszirkel".[8]

–   Im Verhältnis zu den USA sowie zu Russland äußere sich das neue Machtbewusstsein "in einer intensiven Bilateralisierung der Beziehungen, die andere europäische Verbündete weniger stark berücksichtigt als früher".

–   Seit der Amtszeit der rot-grünen Bundesregierung werde auch die Militärpolitik vorrangig nicht mehr an der Verteidigung, sondern an der "außenpolitischen Handlungsfähigkeit" Berlins ausgerichtet. Deutschland sei sich insgesamt "seiner gewachsenen Macht in neuer Weise bewusst", heißt es in der "Internationalen Politik". Der deutsche Kampf um den raschen Wiedereinzug in den UN-Sicherheitsrat bestätigt dies ebenso wie die heutige Jubelberichterstattung in den deutschen Medien, die Berlin "am Tisch der Mächtigen" sehen [9], dem Berliner Außenminister ankündigen, er könne nun "echte Weltpolitik" betreiben [10], und verkünden, Deutschland sei jetzt "für zwei Jahre Weltmacht" [11].

Weitere Informationen zum deutschen Weltmachtstreben finden Sie hier: "Untergang oder Aufstieg zur Weltmacht", "Supermacht Europa", European Way of Life, Die Welt gestalten, Wie in der Zeit nach Bismarck (II) und Weltmachtpotenzial.

[1] Ex-Außenminister Kinkel stärkt Westerwelle; Die Welt 28.09.2010

[2] Berlin will ins Machtzentrum der UN; www.tagesspiegel.de 10.10.2010

[3] Werden wir heute Weltmacht? www.bild.de 12.10.2010

[4], [5], [6] Gunther Hellmann: Normativ nachrüsten. Deutschlands neue Rolle in der Welt und wie sie zu gestalten wäre; www.internationalepolitik.de 01.10.2010

[7] s. dazu Ein Stück Volksverdummung und Bilanz der Nationalismus-Party

[8] Gunther Hellmann: Normativ nachrüsten. Deutschlands neue Rolle in der Welt und wie sie zu gestalten wäre; www.internationalepolitik.de 01.10.2010

[9] Am Tisch der Mächtigen; www.fr-online.de 12.10.2010

[10] Deutschland zieht in den UN-Sicherheitsrat ein; www.sueddeutsche.de 12.10.2010

[11] Deutschland für zwei Jahre Weltmacht; www.mdr.de 12.10.2010

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Internationale Politik        101001

Normativ nachrüsten – Deutschlands neue Rolle in der Welt und wie sie zu gestalten wäre

von Gunther Hellmann | 01.10.2010

20 Jahre nach der Wiedervereinigung gehen die Einschätzungen zwischen Deutschland und seinen Partnern auseinander, was eine „angemessene“ deutsche Außenpolitik wäre. Berlin sagt „Verantwortung übernehmen“, meint aber „Macht ausüben“. Das kann zu einer neuen Balance führen – oder strukturelle Konflikte heraufbeschwören und verschärfen.

Im Frühjahr dieses Jahres entdeckte der deutsche Boulevard an der Spitze der Bundesregierung eine „eiserne Kanzlerin“ – eine Kanzlerin, die plötzlich „Nein“ sagte, als „Europa“ rief und ein Exempel statuierte: „Nie mehr Zahlmeister, nie mehr Liebling Europas“, kommentierte die Bild-Zeitung. Auch im Ausland wurde das Image Deutschlands im Gefolge der griechischen Finanzkrise neu justiert. So sah die New York Times in der deutschen Kanzlerin eine „Nein-Sagerin“, die den europäischen Partnern und der Welt ein neues Deutschland präsentierte, das hart für seine nationalen Interessen kämpft und manchen Partner damit „schockierte“. Nicht alle wollten so weit gehen. Aber selbst diejenigen, die, wie Andrea Seibel in der Welt, Angela Merkel verteidigten, gestanden zu, dass sich im harten deutschen Kurs „ein neues deutsches Selbstbewusstsein“ zeigte.(1)

Neues Selbstbewusstsein

Der Begriff des „Selbstbewusstseins“ ist der Schlüssel zum Verständnis der neuen deutschen Außenpolitik. Er markiert ein grundlegend gewandeltes Verständnis von Deutschlands Rolle in Europa und der Welt, das sich insbesondere in einem geschärften Macht- und Statusbewusstsein artikuliert. Das betrifft nicht nur das Selbstverständnis einer kleinen außenpolitischen Elite, sondern das der deutschen Öffentlichkeit insgesamt. Und es handelt sich dabei um weit mehr als einen Wandel in Stil oder Rhetorik: Diese Änderungen haben gravierenden Einfluss auf die Substanz, die Ziele deutscher Außenpolitik.

Im Herbst 1990 bot der Spiegel Joschka Fischer Platz für einen Essay zur deutschen Vereinigung – und für seine Zweifel, ob „die Deutschen jetzt auf demokratische Weise mit ihrer zweifellos vorhandenen Stärke selbstbegrenzend umgehen“ könnten. Musste es denn wirklich, fragte Fischer, „gleich wieder das ‚Deutschland einig Vaterland‘ sein?“ Bei seinem Ausscheiden als Außenminister 15 Jahre später klang das ganz anders. In einem Interview mit der taz resümierte er, Deutschland sei in der Regierungszeit von Rot-Grün „ein anderes Land geworden“: „offener“, „freier“ und „eine selbstbestimmtere Nation“.

Die positive Konnotation nationaler Selbstbestimmung durch den prominentesten Vertreter der Grünen kennzeichnet die bemerkenswerte Karriere des Begriffs „Selbstbewusstsein“ im neuen außenpolitischen Vokabular. Eine „selbstbewusste Nation“ forderte Anfang der neunziger Jahre nur eine sich als „neue demokratische Rechte“ bezeichnende Gruppe verstreuter Rechtsintellektueller, die das „gebrochene“ Nationalbewusstsein der Deutschen beklagte. Im Zentrum des politischen Diskurses tauchte der Begriff erst mit Gerhard Schröder als Bundeskanzler auf, besonders prominent in der ersten Regierungserklärung, als er das „Selbstbewusstsein einer erwachsenen Nation“ umschrieb, und in seiner Regierungsbilanz am Ende der Amtszeit, als er für sich in Anspruch nahm, Deutschland „nach außen selbstbewusster“ gemacht zu haben.

Dieses Selbstbewusstsein ist in erster Linie ein Synonym für ein gewachsenes Machtbewusstsein. Deutschland ist nicht nur, wie der Korrespondent der New York Times jüngst schrieb, zunehmend „mit sich im Reinen“, sondern es lässt „im Kleinen wie im Großen“ auch wieder „seine Muskeln spielen“. Die Griechen sind nicht die einzigen, die das zu spüren bekommen. Italien weiß seit den späten neunziger Jahren, wie hart die Deutschen zu Werke gehen können, um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu erlangen. Und die Verbündeten Portugal und Kanada, die ihre derzeitigen Kandidaturen für einen nichtständigen Sitz für die Periode 2011/12 bereits in den Jahren 2000 bzw. 2001 (und damit noch vor der letzten nichtständigen Mitgliedschaft Deutschlands) ankündigten, wissen spätestens seit der Bekanntgabe einer neuerlichen deutschen Kandidatur im Jahr 2006, dass Berlin für seine Interessen machtbewusster in den Ring steigt, als dies früher der Fall war. Nicht nur, dass diese deutsche Kampfkandidatur in Kenntnis der Kandidaturen der beiden anderen NATO-Verbündeten angekündigt wurde, Deutschland nimmt auch im Gegensatz zu seinen Konkurrenten für sich in Anspruch, wiederum nach acht Jahren im Sicherheitsrat dabei sein zu können. Bei Kanada und Portugal dagegen hat sich der Zeitraum zwischen der letzten nichtständigen Mitgliedschaft und der neuen im Vergleich zu den Abständen zwischen früheren Mitgliedschaften erhöht.

Andere Beispiele sind Deutschlands Teilhabe an der so genannten „P5 plus Germany“-Gruppe, also der Gruppe der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und Deutschlands, die sich mit der Frage einer potenziell nuklearen Bewaffnung des Iran befasst, oder die mittlerweile weithin akzeptierte informelle EU-3-Konstellation aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland, in der wichtige sicherheitspolitische Fragen der EU vordiskutiert werden. In ihnen drückt sich nicht nur ein geschärftes Statusbewusstsein Deutschlands aus, sondern auch die Anerkennung dieses Status – zumindest auf bestimmten Feldern und durch einige Partner. Von „Macht“ ist in diesem Zusammenhang in deutschen Ansprachen zwar nach wie vor nicht die Rede. Zu sehr erinnert dieser Begriff an frühere deutsche „Machtstaats“-Traditionen, mit denen in Berlin niemand in Verbindung gebracht werden will und die auf die Berliner Republik auch 20 Jahre nach der Vereinigung schwerlich passen. Wenn die Bundesregierung aber in Brüssel „selbstbewusst deutsche Interessen“ wahrnimmt oder ihre „Bereitschaft“ erklärt, international „mehr Verantwortung zu übernehmen“, ist allen Adressaten klar, dass hier im Kern Machtfragen verhandelt werden.

Wie tief diese Veränderungen reichen und wie sehr solche Statusfragen auch in einer breiten deutschen Öffentlichkeit als Machtfragen begriffen werden, spiegeln Umfragen des Instituts für Demoskopie Allensbach aus den vergangenen Jahren. So hat sich im Vergleich zu den neunziger Jahren die Zahl derjenigen verdoppelt, die die Frage, ob Deutschland „eine andere Republik“ geworden sei, bejahen. Ferner zeigen diese Umfragen, dass die wichtigsten Assoziationen, die gemeinhin mit dem Selbstbewusstsein einer „Berliner Republik“ verbunden werden – Ansehen (1998: 39 Prozent, 2007: 50 Prozent), Größe (37/48), Macht (42/47) und Nationalbewusstsein (41/43) – seit Ende der neunziger Jahre teils merklich zugenommen haben. Die Aussage, dass Deutschland „selbstbewusst im Umgang mit anderen Ländern“ agiere, erlangte dabei eine Zustimmung von 59 Prozent (im Vergleich zu 48 Prozent 2002) und damit den dritthöchsten Zuwachs. Dies deckt sich mit einer wachsenden Zustimmung auf die Frage, ob „man heute Nationalstolz haben“ sollte. Hielten 1993 noch 54 Prozent der Deutschen Nationalstolz für wichtig, so waren es 2006 bereits 73 Prozent. Unter Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren wurden 2008 sogar 86 Prozent gemessen, die „stolz“ darauf waren, Deutsche zu sein. Dabei gehen Stolz und Selbstbewusstsein einher mit der Wahrnehmung, Gutes für andere zu tun. Dass Deutschland „die europäische Einigung voranbringt“, meinten 2002 wie 2009 62 Prozent der Deutschen. Im selben Zeitraum erhöhte sich aber die Zahl derjenigen, die finden, dass Deutschland „ausgleichend wirkt“ oder „häufig bei internationalen Konflikten vermittelt“, von 59 auf 66 Prozent.

Ergänzt wird das neue Selbstbewusstsein durch die Einschätzung, dass das gewandelte Selbstbild vom Rest der Welt geteilt wird. Glaubten 1991 nur 39 Prozent der Deutschen, dass sie „in der Welt beliebt“ seien, so waren es 2009 bereits 56 Prozent. Stellt man in Rechnung, dass sich diese Einschätzung mit den Ergebnissen einer BBC-Umfrage von 2010 deckt, der zufolge Deutschlands Einfluss im Vergleich von 28 Ländern weltweit die positivsten Wertungen erhielt, dann ist davon auszugehen, dass dieser Trend auf absehbare Zeit anhält. Kurz, das Selbstverständnis der außenpolitischen Elite wie auch der breiten deutschen Öffentlichkeit hat sich grundlegend gewandelt. Wer „wir“ sind und was uns (vermeintlich) zusteht, wird heute anders definiert als vor 20 oder 40 Jahren. Wie Gerhard Schröder zuspitzte: Deutschland ist wieder ein „normales“ Land, das seine „nationalen deutschen Interessen“ so vertritt „wie die anderen das auch machen“.

Deutschland, so heißt es, hat „Führungsverantwortung“ zu übernehmen. Eine „Kultur der Zurückhaltung“, wie sie in Bonner Zeiten verstanden wurde, ist mit einer derart gewachsenen außenpolitischen „Verantwortung“ nicht mehr vereinbar, sei es im Kontext der EU oder in Afghanistan. Vielmehr wird sie immer öfter als Synonym für Zaghaftigkeit und als „Argument für bequemes Beiseitestehen“ gebrandmarkt.

Selbstbezogener Koloss

Die positiven Konnotationen, die das neue außenpolitische Selbstbewusstsein zumeist begleiten, werden nicht von allen geteilt. In einem Beitrag für die Zeit hat Jürgen Habermas diese Entwicklungen jüngst einer recht harschen Kritik unterzogen. Wo andere selbstbewusste Außenpolitik sehen, sieht er vor allem eine „neue deutsche Hartleibigkeit“, Deutschland insgesamt als einen „selbstbezogenen Koloss in der Mitte Europas“, der keinerlei europäische Gestaltungskraft mehr entfalte und sich insbesondere durch eine „um sich selbst kreisende und normativ anspruchslose Mentalität“ auszeichne. Zwar reichten die tieferen Wurzeln dieser Veränderungen in die Zeit unmittelbar nach der Wiedervereinigung zurück, „wichtiger“ aber sei „der Bruch der Mentalitäten, der nach Helmut Kohl eingetreten ist. Abgesehen von einem zu schnell ermatteten Joschka Fischer regiert seit dem Amtsantritt von Gerhard Schröder eine normativ abgerüstete Generation“.

Mit dieser Kritik schließt Habermas an frühere Warnungen an, in denen er „neue deutsche Ungewissheiten“ mit der „Normalität einer künftigen Berliner Republik“ verband. In der alten Bundesrepublik, so Habermas Mitte der neunziger Jahre, habe sich ein gewisses Gespür für die „Dialektik der Normalisierung“ herausgebildet – „also dafür, dass nur die Vermeidung eines auftrumpfend-zudeckenden Bewusstseins von ‚Normalität‘ auch in unserem Land halbwegs normale Verhältnisse hat entstehen lassen“. Davon ist heute nichts mehr zu spüren. „Heute genießen die deutschen Eliten ihre wiedergefundene nationalstaatliche Normalität.“ Die Polemik der „normativen Abrüstung“ ist eigentlich eine Klage darüber, dass die heutigen Deutschen gemessen an den ursprünglichen Hoffnungen jämmerlich versagten. Statt „konzertiert“ zu handeln und „das republikanische Erbe des Nationalstaats auf europäischer Ebene fortzuführen“, wie Habermas seine Hoffnungen Mitte der neunziger Jahre umrissen hatte, gerierten sie sich heute wieder als souveräne Vormacht.

„Normative Abrüstung“, so ist Habermas wohl zu verstehen, betrifft das Eingemachte der Außenpolitik – die übergreifenden Ziele, die sich als Geltungsansprüche auch normativ rechtfertigen lassen. Seine Kritik geht daher weit über das hinaus, was in der Expertendiskussion über Kontinuität und Veränderung deutscher Außenpolitik manchmal als bloße „außenpolitische Rhetorik“ bzw. als Veränderung des „Stils“ im Kontrast zur „Substanz“ deutscher Außenpolitik charakterisiert wird. In dieser Perspektive ist ein „selbstbewussteres“ Auftreten lediglich eine Stilfrage, die die eigentlichen Ziele bestenfalls am Rand tangiert. Die Unterscheidung zwischen Stil und Substanz ist allerdings nicht nur deshalb problematisch, weil Reden immer schon Handeln ist, sondern auch weil in dieser Unterscheidung das, was „selbstbewusste“ Vertretung „nationaler Interessen“ umschreibt, schwerlich als bloße Stilfrage kleinzureden ist. Griechen, Italiener, Portugiesen oder Kanadier werden jedenfalls an erster Stelle Machtfragen sehen, wenn sie einem „selbstbewusst“ auftretenden Deutschland gegenüberstehen.

All dies bedeutet natürlich nicht, dass sämtliche Koordinaten Bonner Außenpolitik ungültig geworden seien. Wer die Kernziele deutscher Außenpolitik heute zusammenfasst, wird durchaus Kontinuitätslinien ziehen können. Die EU steht nach wie vor im Zentrum deutscher Außenpolitik, und das Bündnis mit den USA (besonders im Rahmen der NATO) hat manchen Forderungen nach einer Prioritätenverschiebung zugunsten Russlands zum Trotz noch immer eine herausragende Bedeutung. All das hindert Deutschland aber ebenso wenig wie früher, umfassende Kooperationsbeziehungen mit Russland zu pflegen.

Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen – und solche Kontinuitäten sollten auch nicht überraschen. Denn ein radikaler Einschnitt war nicht nur deshalb nicht zu erwarten, weil Bonner Außenpolitik eine Erfolgsgeschichte darstellte, sondern auch weil die Deutschen selbst sich 1990 feierlich in diese Tradition eingereiht und Kontinuität versprochen hatten. Zudem wäre auch zu fragen, worin denn eine plausible alternative „Große Strategie“ bestanden hätte, die von dieser Ausrichtung deutscher Außenpolitik signifikant abgewichen wäre. Sofern solche Alternativen entworfen bzw. angedeutet werden, beziehen sie sich zumeist auf eine (noch) stärkere Akzentuierung nationalstaatlicher Macht (z.B. durch eine Orientierung an einer stärker auf Intergouvernementalisierung setzenden EU-Politik, wie sie etwa Großbritannien betreibt) oder offenes, militärisch gestütztes Dominanzstreben auf dem europäischen Kontinent. Dass solche Optionen nicht ernsthaft in Erwägung gezogen wurden, verstand sich angesichts der generellen Entwicklungstrends in Deutschlands Umfeld (z.B. der Westorientierung der mittel- und osteuropäischen Staaten) wie auch der erwartbaren Reaktionen der Nachbarn auf eine offene Renationalisierung fast von selbst.

Großmacht neu gestalten

Umso wichtiger sind die neuen inhaltlichen Akzente, die in den Kernbereichen deutscher Außenpolitik dennoch gesetzt wurden. Sie alle reimen sich bestens auf die wichtigste substanzielle Veränderung, die in einem grundlegend gewandelten Bewusstsein des eigenen Selbst und dessen besteht, was für Deutschlands Rolle in der Welt angesichts seiner gewachsenen Macht angemessen ist. In der Europa-Politik ist am auffälligsten, wie deutlich frühere Präferenzen für supranationale Lösungen zugunsten von Regeln fallen gelassen wurden, die den Einfluss der großen Staaten vergrößern – von einer stärkeren Berücksichtigung der demografischen Komponente bei Mehrheitsabstimmungen im Lissabonner Vertrag über die Ausdehnung von Mehrheitsentscheidungen im Rat bis hin zu einer deutlichen Präferenz für intergouvernementale Lösungen und informelle Führungszirkel.

In den Beziehungen zu den USA und Russland äußert sich das neue Selbstbewusstsein in einer intensiveren Bilateralisierung der Beziehungen, die andere europäische Verbündete weniger stark berücksichtigt als früher. Dass die Veränderungen der Ziele in der Sicherheitspolitik am weitesten reichen, bedarf kaum der Erläuterung. Es lohnt aber, sich in Erinnerung zu rufen, dass der grundlegende Paradigmenwechsel bei Bundeswehreinsätzen bereits in der Regierungszeit von Rot-Grün doktrinär fixiert wurde.

In den Verteidigungspolitischen Richtlinien wurde 2003 festgehalten, dass der Auftrag der Bundeswehr „an erster Stelle“ nicht mehr durch die Landesverteidigung, sondern generell durch die Gewährleistung der „außenpolitischen Handlungsfähigkeit“ Deutschlands definiert sei. Für die außenpolitische Kultur der Bonner Republik wäre eine solche Zielvorgabe, offensichtlich weit mehr als eine Veränderung des Stils, selbst dann unvorstellbar gewesen, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik gewährleistet gewesen wäre.

Die Liste veränderter außenpolitischer Zielsetzungen ließe sich verlängern. Natürlich, Deutschlands gewandeltes Selbstverständnis läuft nicht auf eine Tabula rasa hinaus, die alles bisher Dagewesene über den Haufen wirft. Deutschland und seine außenpolitische Elite verstehen sich noch immer als europäische Nation, die vom Erfolg des Projekts EU wesentlich abhängt. Dieses Deutschland ist sich aber auch seiner gewachsenen Macht in neuer Weise bewusst. In dem Maße, in dem solche Status- und Machtfragen die internationale Politik prägen, berühren sie Kernfragen. Doch die Antwort, die Deutschland und seine Partner bzw. Konkurrenten darauf geben, was Deutschland machtpolitisch legitimerweise zusteht, hat wesentlichen Einfluss darauf, wie sich die Beziehungen zwischen ihnen gestalten. Man muss nur auf die USA während der Irak-Krise, Italien beim Thema UN-Reform oder auf Griechenland zu Zeiten der Finanzkrise verweisen, um zu sehen, dass sich die Einschätzungen zwischen Deutschland und seinen Partnern merklich verschoben haben, was „angemessene“ deutsche Außenpolitik ist. Das kann zu Lernprozessen, zu Neujustierungen und sogar zu einer allseits akzeptierten neuen Balance führen. Es kann aber auch strukturelle Konflikte heraufbeschwören oder verschärfen.

Dabei lässt sich die Bereitschaft, „mehr Verantwortung zu übernehmen“, durchaus anders artikulieren, etwa durch die Beherzigung des Rates, den der frühere Staatssekretär Wolfgang Ischinger vor zehn Jahren an die russische Adresse richtete. Ischinger warb für eine Neudefinition dessen, was eine „moderne Großmacht“ ausmache. Größe bemesse sich nicht mehr so sehr „an Macht, sondern an Kraft zu gestalten: Es ist wichtiger zu überzeugen, als zu drohen, es ist wichtiger einzubinden, als zu beherrschen, es ist wichtiger Partner zu gewinnen, als Gegner in Schach zu halten. Das sind die Gebote des 21. Jahrhunderts“. Wenn die Berliner Republik in dieser Hinsicht normativ nachrüsten würde, könnte das sogar ihrem Selbstbewusstsein gut tun.

(1) Ich verzichte hier auf genaue Belege. Diese finden sich aber in einer annotierten Fassung, die verfügbar ist unter http://www.soz.uni-frankfurt.de/hellmann/mat/IP2010-anm.pdf.

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